Phänomen Japanische Keramik

Phänomen japanische Keramik Isegahama Tea Bowl with whisk

Was macht japanische Keramik so besonders?

Phänomen japanische Keramik - Baba Takashi Bowls
Imura-sans Holzofen in Toki
Imura-sans Holzofen in Toki

Das Phänomen Japanische Keramik ist wie ein Spiegel, oder ein Geschichtsbuch, geographischer, soziologischer, philosophischer, wirtschaftlicher und religiöser Natur. Ob Kunst oder Handwerk, japanische Keramik sieht auf eine der längsten Geschichten mit über 11,000 Jahren zurück. Schon bevor die Agrikultur Menschen zu Siedlern werden ließ, entstand in Japan die unglaublich eindrucksvolle Jōmon Keramik. Lokale Gegebenheiten, verschiedene Einflüsse aus China und Korea haben die japanische Keramik weiter inspiriert. Auch politische und kulturelle Wendungen haben ihre Finger im Spiel gehabt und so zur Entwicklung der Keramik als wirtschaftlich wichtiger Faktor beigetragen. Der unendliche Dialog zwischen Tradition und Innovation hat letztendlich ästhetisch und technisch aus der japanischen Keramik das faszinierende (Kunst)Handwerk gemacht, welches heute so gepriesen wird.

Es gibt also viele Faktoren, die die Wichtigkeit der Keramik in Japan erklären. Doch was zeichnet das Phänomen japanische Keramik so aus?


  1. Einzigartige Ästhetik: Respekt der Natur

Japanische Keramik kann in verschiedene Gruppen unterteilt werden, die mehr oder weniger klar definiert sind. Von Porzellan zu Steinzeug und Steingut sind alle Gruppen in Japan vorzufinden. Dabei ist die Wichtigkeit der Steinzeug- und Steingutkeramik jedoch besonders bemerkenswert. Von unglasierten bis glasierten Keramiken ist hier eine Vielfältigkeit zu finden, die stark von den jeweiligen lokalen Gegebenheiten geprägt ist.

Japans inhärenter Respekt für die Natur findet sich hier wieder. Lokale Erde wird zu Ton verarbeitet, lokales Holz für Ascheglasur und Brennöfen als wirtschaftliche Notwendigkeit genommen. Dies prägt so auf natürliche Weise die Keramik. Doch darüber hinaus ist es das Anstreben eines jeden Töpfers das Beste aus den lokalen Materialien herauszuholen und die Natur so gut wie möglich für sich sprechen zu lassen. So ist in Japan mehr als die Form und die Dekoration der Keramik, eher das Tsuchi Aji - der Geschmack des Tons - von Wichtigkeit und welches den Charakter eines Objektes prägt und definiert.

Diese lokalen Gegebenheiten, oder Limitierungen, haben dazu beigetragen, dass jede Region in Japan ihren eigenen Stil entwickelte. Ein Stil der also kohärent mit dem lokalen Ton und lokalen Brennmöglichkeiten ist. Heutzutage, dank der modernen Logistik, gibt es kaum noch Einschränkungen in dem, was ein Töpfer an einem gegebenen Ort machen kann… dennoch pflegen die verschiedenen Töpferfamilien weiter ihr Savoir-faire, Know-how im Einklang mit ihrer Umgebung, auch wenn sie mit jeder neuen Generation auch Neuerungen und Wandel miteinbringen. Das führt dementsprechend zu einer unglaublichen Vielfalt an Stilen und Strömungen, die sich jedoch in eine gewisse Historie einbetten.

Phänomen Japanische Keramik - Toki Reisfelder
Phänomen Japanische Keramik - Morioka Clay

  1. Einfluss der Kultur und Religion

Buddhismus und Teezeremonie

Wie bei uns in Europa, spielt in Japan auch die Religion eine prägende Rolle in der Entwicklung der Töpferkunst, allen voran Buddhismus und die Teezeremonie im 15. Jahrhundert.

Keramik wurde zum Einen von Anfang an als Gefäße für Essenszubereitung oder Konservierung genutzt. Ebenso wurde Keramik auch als Objekte oder Gefäße für religiöse Zwecke wie Bestattungen oder Zeremonien eingesetzt.

Das Aufstreben der Teezeremonie im 15. Jahrhundert als Kunst des Gastgebens und die einflussreiche Rolle welche Teemeister wie Sen no Rikyū auf die gegenwärtige Kultur hatten, ließ die schlichte, natürliche japanische Keramik als Kunstform aufblühen. Die Momoyama Zeit kann demnach als Blütezeit der japanischen Keramik bezeichnet werden, als Beginn einer klaren Identität, welche buddhistische Prinzipien wie Schlichtheit, Einfachheit und natürliche Imperfektion – Wabi Sabi - als Grundlage nimmt.

Phänomen Japanische Keramik - Isegahama Tea Bowl

Esskultur und Omotenashi

Sehr wahrscheinlich trägt aber auch die japanische Esskultur zu der unvergleichlichen Kreativität in Form, Konsistenz der japanischen Keramik bei. Tatsächlich werden die verschiedenen Gerichte üblicherweise portioniert in verschiedenen Schälchen, Teller oder Schüsseln serviert. Dabei wird auf die Vielfalt der Materialien wie Lackwaren, Steinzeug, Porzellan, Glas, Steingut geachtet, sowie auf die Koordination der Farben und der Formen und Größen des Geschirrs, alles mit dem Ziel die Gerichte hervorstechen zu lassen. Diese Kreativität erfordert dementsprechend auch eine Vielfalt an Geschirr.

Saisonalität spielt in Japan eine äußerst wichtige kulturelle Rolle in ziemlich jedem Aspekt des Lebens. Von Feiertagen über Kleidung (v.a. Kimonos) zu Süßigkeiten, alle sind durch die vier Jahreszeiten geprägt. Auch Keramik ist von den Saisonen bestimmt, in der Entstehung, in den Motiven der Dekoration und in der Nutzung am Tisch. Je nach Jahreszeiten werden so gewisse Motive oder Farben oder Materialien bevorzugt.

Letztendlich geht es darum dem Gast ein außergewöhnliches Erlebnis zu schenken, indem man visuell und haptisch die kulinarischen Kreationen hervorhebt. Durch diese Bemühungen, dem Omotenashi, zollt man dem Gast Respekt.

Phänomen Japanische Keramik - Esskultur

  1. Wirtschaft und Savoir Faire

Internationale Einflüsse und Innovationen

Japan hat nicht nur eine der längsten, sondern auch eine der reichsten Keramik Geschichten. Von den ersten Jōmon (14500-300 v. Chr.) und Yayoi (300 v. Chr.-300 n. Chr.) Steingut Kreationen sowie den weltberühmten Haniwa Terrakotta Figuren der Kofun Periode (300-710), entwickelte sich in Japan ab dem 5. Jahrhundert auch das Steinzeug.  Sue Ware zum Beispiel entstand dank neuer Innovationen aus China und Korea, wie die Drehscheibe und Anagama Öfen, welches höhere, reduktive Brände ermöglichte. Auch die Entwicklung von Glasuren ist auf ausländischen Einfluss zurückzuführen.

Die Momoyama Zeit (1568 – 1615) war eine wichtige Zeit für japanische Keramik – politisch einflussreiche Teemeister wie Sen no Rikyū (1522-1591) definierten zu der Zeit den japanischen ästhetischen Kanon und gaben japanischen Keramiken den Vorrang, wo früher „Karamono“ (chinesische Ware) als hochwertiger empfunden wurden. Diese neue Vorliebe verlieh der Keramik in Japan einen grundlegend neuen Impuls.

Tatsächlich war Keramik eng mit der Teezeremonie und somit mit der Politik verbunden. Daimyos wurden zu Mäzenen von lokalen Öfen, die sich dank wirtschaftlicher und politischer Stabilität unter der Tokugawa Herrschaft vollends entfalten konnte.
Phänomen Japanische Keramik - Mizusashi Arakawa Toyozo
Mizusashi von Arakawa Toyozō, MINO Ceramic Art Museum, Tajimi, Japan 

Neue Institutionen und wirtschaftliche Förderungen

Als der Untergang des feudalen Systems in der Meiji Zeit eingeleitet wurde, hätte dies das Ende der Bedeutsamkeit und Vielfältigkeit der Keramik sein können, da die Öfen ihre Schirmherren verloren hatten. Doch die neue Regierung verstand schnell, dass die japanische Keramik als repräsentatives Kulturgut sowohl auf internationalen Weltausstellungen und folglich auch als Exportware, Japans hohe Handwerkskunst darstellen konnte. Gleichzeitig übernahm die Regierung mit verschiedenen Institutionen auch die kulturelle Förderung und verlieh der Keramik durch Ausstellungen und Wettbewerbe und neue Bildungsmöglichkeiten wie Keramikschulen, basierend auf den neuesten technischen Errungenschaften, eine nationale Plattform[1].

Mit der industriellen Revolution und den Kriegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlor aber in Japan die Keramik an Wichtigkeit. In den 1920‘ kommt es mit dem Mingei, Folkcraft movement, zu einem neuen Selbstbewusstsein des reichen traditionellen Erbguts. Einzelne Keramiker erarbeiteten ebenfalls, wie Arakawa Toyozō (1894-1985) in Tajimi oder Kaneshige Tōyō (1896-1967) in Bizen, alte Techniken der Momoyama Zeit wieder auf. Um auch nach den Weltkriegen, in einer Gesellschaft geprägt von der Konsumindustrie, das Interesse an Keramik und Kunsthandwerk im generellen aufrechtzuerhalten, und natürlich auch die lange Tradition und das Wissen zu schützen, wurden neue Konzepte eingesetzt, allen voran Auszeichnungen wie z.B. die„Important Intangible Cultural Properties“, abgekürzt als „Living National Treasure“ bekannt[2][3].

Die politische Unterstützung durch Auszeichnungen, Ausstellungen und Bildung strukturieren den japanischen Keramikkunstmarkt bis heute und haben sicherlich zur wirtschaftlichen Wichtigkeit der Keramik als repräsentatives Kulturgut beigetragen. Zusammen mit der ästhetischen Sensibilität, dem philosophischen Verständnis und des in Tradition verankerten Know-Hows, konnte dadurch die Vielfalt und die äußerst hohe Qualität der japanischen Keramikkunst aufrechterhalten werden.

Phänomen Japanische Keramik - Kimura Vase

Japanische Keramik - ein komplexes (Kunst)Handwerk 

Wie kaum in einem anderen Land liest sich die Geschichte der Keramik wie eine Geschichte des Landes. Die Komplexität der verschiedenen Elemente, die auf die Entwicklung der Keramik, der Stile und vor allem des Stellenwertes in der Gesellschaft Einfluss nehmen, ist nicht mit ein paar Zeilen zusammenzufassen. Diese Komplexität zeichnet jedoch die Einzigartigkeit der japanischen Keramik aus.

Ob nun das Terroir, die lokalen Gegebenheiten, die den Ton, das Wasser und das Feuer prägen, oder die philosophischen Sensibilitäten des Respektes für die Natur, die ästhetischen Prinzipien der Teezeremonie, die Esskultur oder auch die wirtschaftliche Unterstützung der Branche – jedes Element fügt einen weiteren Baustein dazu, um aus einem, im Prinzip elementaren Gut, etwas so Reiches und Vielfältiges zu erwirken.

[1] Ceramics and modernity in Japan - Meghen Jones and Louise Allison Cort, Chapter 5: Unifying science and art: The Kyoto City Ceramic Research Institute (1896-1920) and ceramic art education during the Taisho era – Maezaki Shinya

[2] https://www.bunka.go.jp/english/policy/cultural_properties/introduction/intangible/

[3] Ceramics and modernity in Japan - Meghen Jones and Louise Allison Cort, Chapter 10: Koyama Fujio’s view of modern Japanese ceramics and his role in the creation of “Living National Treasures” - Kida Takuya

Le grès japonais - Christine Shimizu